Hauptmerkmale und Möglichkeiten zur Verwechslung
Der Austernseitling erscheint oft in dichten Büscheln an seinem Substrat. Meist wächst die Wildform an noch lebenden oder bereits abgestorbenen Stämmen, Ästen oder Stümpfen von Laubbäumen. Besonders gern an Buchen und Weiden, er kann aber auch an allen anderen Laubbäumen und manchmal auch an Nadelbäumen gefunden werden.
Er besitzt einen typischen Seitlings-Habitus, d.h. der Stiel sitzt meist seitlich am Hut und er ist nur selten zentral gestielt. Die jungen Fruchtkörper sind zunächst zungen- bis spatelförmig, später erscheinen sie meist muschel- bis halbkreisförmig. Der Stiel ist meist kurz und dick, oft sind die Stiele büschelig verwachsen, die Basis der Stiele ist filzig. Es gibt keine genaue Unterscheidung zwischen Stiel und Hut, die Lamellen laufen am Stiel herab und enden nicht abrupt auf einer Linie, sondern gehen langsam in den Stiel über. Die Lamellen sind jung weiß und werden im Alter leicht gelblich. Der Hut kann Breiten von bis zu 30 cm erreichen. Seine Oberfläche ist glatt, kahl und glänzend, bei Feuchtigkeit auch leicht klebrig und bei Trockenheit besitzt er eine etwas faserige Struktur. Junge Fruchtkörper besitzen eingerollte Ränder, mit zunehmendem Alter schirmt der Fruchtkörper mehr auf und dann kann der Hut auch lappig aufreißen. Die Farbe des Hutes ist sehr variabel, aber meist dunkel, es herrschen braune, dunkelgraue als auch lilane Farbtöne vor. Das reichlich abgegebene Sporenpulver ist weiß bis hell lilagrau.
Das Fleisch des Austernseitlings ist jung weiß und weich und wird mit zunehmendem Alter aber zäh und faserig. Der Geschmack ist angenehm mild und der Geruch würzig.
Verwechselt werden kann der Austernseitling in seiner Wachstumszeit in der freien Natur (Oktober bis März) mit dem zeitgleich auftretenden Gelbstieligen Muschelseitling (Sarcomyxa serotina), der auch an Laub- und Nadelholz wächst. Er ist etwas kleiner als der Austernseitling und hat einen mehr oder weniger stark ausgeprägten gelben Stiel (wie auch ältere Exemplare des Austernseitlings) und gilt als ungenießbar. Fruchtkörper vom Austernseitling und vom Gelbstieligen Muschelseitling können manchmal auch am selben Baum gleichzeitig gefunden werden, eine Verwechslung ist für den unerfahrenen Pilzfreund durchaus möglich.
Daher: bei selbstgezüchteten Austernseitlingen ist eine Verwechslung nicht möglich, mit den Pilzkulturen von Pilzmännchen sind Sie auf der sicheren Seite!
Manchmal findet man in der Natur im Sommer auch Fruchtkörper, die dem Austernseitling sehr ähneln, aber meist heller sind, das ist oft der sogenannte Lungenseitling (Pleurotus pulminarius), ebenfalls ein guter Speisepilz. Allerdings sollte der unerfahrene Pilzsammler bei weißen Seitlings-Arten immer vorsichtig sein, denn der potentiell (tödlich) giftige Ohrförmige Weissseitling (Phyllotus porrigens) ist bei uns in montanen Lagen an Nadelholz weit verbreitet.
Geschichtliches
Der Austernseitling wurde schon in Kräuterbüchern des 16. Jahrhunderts erwähnt, damit ist er einer der ersten Pilze, die so früh Einzug in die „bürgerliche“ Literatur gefunden hatten. Seit über 100 Jahren wird der Austernseitling schon kultiviert. Erste Kultivierungen wurden von den Franzosen im Jahre 1897 durchgeführt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden in Thüringen größere Freilandkulturen auf Holz angelegt, in Ungarn wurde der Pilz in den 60er Jahren auf Strohgrundlage gezüchtet. In den 70er Jahren öffneten die ersten Kulturbetriebe in Deutschland.
Seitdem ist viel geschehen: aktuell ist der Austernseitling nach dem Champignon in Deutschland der zweitwichtigste Zuchtpilz. Die jährliche Produktion dürfte in Deutschland bei ca. 1000 Tonnen liegen. Weltweit gesehen gehört der Austernseitling zsammen mit Zuchtchampignon und Shiitake-Pilzen zu den drei am meisten angebauten Zuchtpilzen, bezogen auf die Erntemenge soll er sogar der wichtigste Zuchtpilz sein. Schon vor rund 10 Jahren betrug die weltweite Menge ca. 2,5 Millionen Tonnen. Der größte Teil davon wird in China produziert.
Verwendung in der Küche
Austernseitlinge werden fast das ganze Jahr über in Supermärkten und anderen Lebensmittelgeschäften angeboten. Aber achten Sie auf die Frische! Oftmals kann ein „weißer Belag“ auf den Pilzhüten gesehen werden. Dabei handelt es sich nicht um Schimmel, sondern um das weiße Mycel des Austernseitlings, dass sozusagen nach oben ausbricht.
Dies ist aber bei ganz frischen Pilzen nicht der Fall, sodass man davon ausgehen muß, dass Pilzfruchtkörper des Austernseitlings mit einem solchen „weißen Belag“ bereits einige Tage Lagerung hinter sich haben. Auch Fruchtkörper, die einen feuchten Eindruck machen, Verpackungen, in denen sich bereits Kondenswasser ansammelt oder eine bereits beginnende Verfärbung der Fruchtkörper ins rotbräunliche, sollten Sie davon abhalten, diese Pilze zu erwerben. Solche Pilze und Verpackungen sind eher ein Fall für den Verbraucherschutz und ein Verzehr solcher Pilze könnte zu einer Lebensmittelvergiftung führen.
Daher: züchten Sie selbst und Sie wissen, wie frisch Ihre Pilze sind!!
Der Austernseitling ist vielseitig verwendbar. Probieren Sie doch mal einen „veganen“ Wurstsalat aus gekochten Austernpilzen! Oder panieren Sie ihn wie ein Schnitzel! Er eignet sich hervorragend zum Braten, Dünsten, Frittieren, Kochen und Grillen sowie in Saucen und Salaten oder in Essig eingelegt. Das Internet ist voll von Anregungen und Rezepten. Der Austernseitling läßt sich natürlich auch trocknen. Nur roh sollte man ihn nicht verzehren!
Ernährungswert
Auch weil er eine gewisse kommerzielle Bedeutung erreicht hat und ganzjährig für den Verbraucher erhältlich ist, wurde der Austernseitling bezüglich seiner Inhaltsstoffe sehr gut untersucht. Von den ernährungsrelevanten Inhaltsstoffen her ist der Austernseitling ein äußerst interessanter Pilz für den Menschen.
Die Bezeichnung „Kalbfleischpilz“ beruht übrigens nicht nur auf der Ähnlichkeit zur Kalbfleischkonsistenz, sondern vielmehr auch auf dem Vorhandensein glutaminsäurereicher Proteine, wie sie auch im Fleisch enthalten sind. Daher auch der fleischähnliche Geschmack des Austernseitlings.
Eiweiß (Protein):
Die Trockensubstanz von Austernseitlingen besteht zu einem hohen Anteil (ca. 20-40 %) aus Eiweiß (Protein). Die Schwankungsbreite erklärt sich durch die Verwendung unterschiedlicher Sorten, Kultursubstraten, Anbaumethoden und den Zustand der Pilze bei der Ernte. Dieses Eiweiß enthält, mit Ausnahme von Tryptophan, alle essentiellen Aminosäuren. In einer Kombination mit verschiedenen Gemüsen kann die biologische Wertigkeit der Mahlzeit in Bezug auf den Proteingehalt noch erheblich verbessert werden.
Kohlenhydrate:
Weitere ca. 50 % der Trockenmasse machen Kohlenhydrate aus. Da Pilze keinen pflanzlichen Stoffwechsel haben, bestehen diese Kohlenhydrate nicht aus der in Pflanzen oft auftretenden Stärke, sondern aus anderen Kohlenhydraten, wie z. B. Mannit (ca. 8 % der Trockenmasse des Austernseitlings). Im Gegensatz zur pflanzlichen Stärke, deren schnelles Abbauprodukt im Menschen die Glucose darstellt, wird Mannit wesentlich langsamer abgebaut. Dadurch entstehen beim Verzehr von Austernseitlingen keine solch hohen Glucose-Peaks im Blut, verglichen mit dem Abbau von stärkehaltigen Pflanzen-Produkten.
Durch den relativ hohen Gehalt von schwer verdaulichen Kohlenhydraten wie Chitin, Lignin, Hemizellulose und Zellulose enthalten Pilze einen hohen Anteil an Ballaststoffen. Dementsprechend förderlich sind sie für die Verdauung.
Fettgehalt:
Der Fettgehalt der getrockneten Austernseitlinge ist mit 1 % sehr gering. Hauptbestandteile sind die ungesättigten Öl- und Linolsäuren.
Mineralstoffe:
Der getrocknete Austernseitling enthält viele Mineralstoffe (10 % des Trockengewichtes), wie Natrium, Calcium, Kalium, Eisen, Magnesium, Phosphor, Selen und Zink. Dabei gilt er als natriumarm und kaliumreich. Besonders hervorzuheben ist der hohe Gehalt an Eisen und Selen.
Vitamingehalt:
Austernpilze enthalten die Vitamine der B-Gruppe wie B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), B3 (Niacin), B5 (Panthotensäure), B6 (Pyridoxin), B7 (Biotin) und B9 (Folsäure) in teils bemerkenswert hohen Konzentrationen. Diese Vitamine werden in der Regel über den Verzehr von Fleischprodukten aufgenommen. Wo sich das aus medizinischen, religiösen oder moralischen Gründen verbietet, sind Austernseitlinge eine gute Alternative, um eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung zu erleichtern. So kann ein Erwachsener ca. 20 % seines Tagesbedarfes an Vitamin B1 und B5 sowie ca. 40 % des Tagesbedarfes an Vitamin B2 und B3 mit nur 100 g frischem Austernseitling abdecken.
Ganz besonders wichtig ist der hohe Anteil an Folsäure (Vitamin B9) in frischen Austernseitlingen. Mit 100 g frischen Austernseitlingen läßt sich 100 % des Tagesbedarfes an Folsäure eines Erwachsenen abdecken. Besonders Schwangere haben einen erhöhten Bedarf an Folsäure. Folsäure ist notwendig für die Vorgänge der Zellteilung und damit der Zellneubildung.
Austernpilze zählen damit, wie auch einige Gemüsesorten, zu den besten Lieferanten von Vitamin B9. Auch Vitamin C ist in beachtlichen Mengen in Austernpilzen enthalten (ca. 10 mg/ 100 g Frischgewicht), damit stellt der Austernpilz eine der wenigen Ausnahmen innerhalb der Pilze dar. Für Vitamin D (Ergocalciferol) stellt der Austenseitling ebenfalls eine ergiebige Quelle dar: Ähnlich wie mit Champignons kann man mit 100 g Frischpilzen ca. 40 % des Tagesbedarfs mit ihnen abdecken.
Purin-Gehalt:
Pilze gehören allgemein zu den purinarmen Lebensmitteln. Der Austernseitling bestätigt dies mit einem durchschnittlichen Puringehalt von ca. 50 mg pro 100 g Frischpilz. Im Vergleich dazu haben mageres Fleisch 63 mg, Schweineschnitzel 88 mg, Ölsardinen 200 mg und Sprotten 335 mg pro 100 g Gewicht.
Ökologie
Der Austernseitling ist ein Saprobiont oder Schwächeparasit hauptsächlich an Laubhölzern, seltener an Nadelholz. Gerne wächst er an Rotbuchen, Weiden und Pappeln und erzeugt eine Weißfäule. Der Pilz besiedelt in der Regel das Stammholz und dickere Äste – an stehenden Bäumen können die Fruchtkörper in mehreren Metern Höhe erscheinen. In Kultur wächst der Austern-Seitling auf diversen Substraten wie beispielsweise Stroh, Papier, Kaffeesatz, Fruchtfleisch von Kaffeebohnen und Weizenkörner.
Die Wildformen des Austernseitlings fruktifizieren erst bei niedrigen Temperaturen, es wird davon ausgegangen, dass Temperaturen von unter 10 °C zur Initiation der Fruktifizierung (Fruchtkörperbildung) benötigt werden. Unter Pilzsammlern spricht man auch von dem „ersten Frost“, der nötig sei, dass der Austernseitling erscheint. Daher spricht man beim Austernseitling auch von einem sogenannten „Winterpilz“. Erscheinungszeit ist dementsprechend Oktober bis April. Im Gegensatz zu „normalen“ Speisepilzen, wie z. B. dem Steinpilz, die nach Frost aufgrund von Zersetzungserscheinungen nicht mehr gesammelt und gegessen werden sollen, ist der Austernseitling auch nach dem Einfrieren und Wiederauftauen noch essbar. Durch häufiges Einfrieren und Auftauen leidet aber der Geschmack der Fruchtkörper.
Wußten Sie, dass der Austernseitling ein teilweise carnivorer, sprich´ "fleischfressender" Pilz ist?
Keine Angst, Sie müssen bei der Ernte keine Handschuhe tragen, weil der Pilz versucht, Sie in die Hand zu beissen...
Nein, das nicht, aber der Austernseitling ist nematophag, d.h. er ist auf (Nematoden) Fadenwürmer als Beute spezialisiert. Nematoden sind winzig kleine Fadenwürmer. Der Austernseitling ist in der Lage, Nematoden mit Hilfe von eigenen Zellen, sogenannten Toxocysten, zu vergiften. Der Nematode wird durch Duftstoffe angelockt und durch den Kontakt mit den Pilzzellen rasch gelähmt. Anschließend dringen Pilzhyphen in die gelähmten bzw. getöteten Fadenwürmer ein, die sodann verdaut werden. So nutzt der Austernseitling die Nematoden als zusätzliche Stickstoff-Quelle.
Interessantes
Der Austernseitling wächst auf vielen ligninhaltigen Substraten, wie Stroh, Holzhäcksel, Pellets, Sägemehl und sogar Papier oder Kaffeesatz. Daher wurde auch schon überlegt, ob man ihn zur Produktion von Nahrungseiweiß in Entwicklungsländern heranziehen könnte. In kurzer Zeit läßt sich aus verschiedenem Kultursubstrat bis zu 70 % des entsprechenden Gewichtes als Fruchtkörper des Austernseitlings gewinnen. Das nach der Ernte übrigbleibende, vom Pilzmyzel durchwachsene Restsubstrat läßt sich u. a. als Viehfutter verwenden.
Interessanterweise enthält der Pilz auch Enzyme (z. B. Alkoholdehydrogenase), die Zucker in Alkohol umwandeln können. Unter Versuchsbedingungen wurde das Pilzmycel als Ersatz für die normalerweise verwendete Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae) zur Herstellung von Wein herangezogen. Der Alkoholgehalt des so erhaltenen Getränkes liegt bei etwa 12 % Vol. Von besonderer Bedeutung dabei ist die Tatsache, dass der so erhaltene Wein gerinnungshemmend wirkt und darüber hinaus die Fähigkeit besitzt, bereits bestehende Gerinnsel aufzulösen.
Auch andere Enzyme, die der Austernseitling bildet, sind für die Forschung interessant. So bildet das Myzel des Austernseitlings eine Reihe von Enzymen aus, die komplexe organische Verbindungen zersetzen können (er baut ja so auch das Lignin im Holz ab). Mit Hilfe dieser Enzyme wird versucht, z. B. mit Altöl oder anderen Schadstoffen kontaminierte Böden zu entgiften. Man benutzt dazu das Myzel direkt oder die in Fermentern hergestellten Enzyme.
Es wird allgemein weltweit viel in Zusammenhang mit dem Austernseitling geforscht, wurden doch interessante Eigenschaften festgestellt:
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der wässrige Pilzextrakt zeigt eine starke Hemmwirkung gegenüber verschiedenen Krebszelllinien
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Im Austernseitling vorkommende komplexe Zuckerverbindungen und Glykoproteine scheinen das Immunsystem zu stärken
In diesem Zusammenhang können wir noch neue, bedeutende Entwicklungen in vielleicht schon naher Zukunft erwarten.